Unter Leuten by Juli Zeh

Unter Leuten by Juli Zeh

Autor:Juli Zeh [Zeh, Juli]
Die sprache: eng
Format: epub
Tags: Novels
Herausgeber: https://c3jemx2ube5v5zpg.onion
veröffentlicht: 2016-07-04T16:00:00+00:00


30 Fließ-Weiland

“Gombrowski ist ein Mörder und kommt in einer halben Stunde vorbei.”

Mit diesem Satz war Gerhard zur Tür hereingestürmt, gegen zwölf am Mittag, obwohl sein Dienst offiziell erst um fünf endete. Er brachte Hitze, Gummigestank und Aufregung mit herein, rannte vom Wohnzimmer in die Küche und zurück, als gälte es, für die Bewirtung des Mörders besondere Vorkehrungen zu treffen. Jule wollte eigentlich um halb eins mit Stillen fertig sein und Sophie ins Bett bringen, damit sich die Kleine endlich an feste Mittagsschlafzeiten gewöhnte. Was sie dabei überhaupt nicht gebrauchen konnte, war ein hektisch herumrennender Gerhard.

“Kannst du dich nicht hinsetzen?”

“Ein mutmaßlicher Mörder! Hörst du nicht, was ich sage?”

Sie hörte ihn gut, verstand aber kein Wort. Er redete schnell. Anscheinend hatte er am Vormittag die Arbeit in der Vogelschutzwarte ruhen lassen, um den Ökologica-Streikenden reihum einen Besuch abzustatten. Es sei darum gegangen, den moralischen Schulterschluss zu vollziehen und nach möglichen Synergien Ausschau zu halten. Dabei hatte er einen gewissen Heinz kennengelernt, der ihm eine verrückte Geschichte erzählte. Irgendetwas mit LPG-Umwandlung und politischem Protest; am Ende war ein Mann gestorben. Heinz war anscheinend davon überzeugt, dass Gombrowski für den Todesfall verantwortlich zeichnete.

Mörder. Der Begriff stand im Raum wie ein Gegenstand, der keine Funktion besaß. Er löste nichts aus. Er bedeutete nichts. In Jules Welt besaß “Mörder” keine Entsprechung. Gerhard hingegen schien genau zu wissen, wovon er sprach. Er lief weiter aufgeregte Kreise und blieb zwischendurch stehen, um Jule an den Oberarmen zu packen.

“Verstehst du, Jule? Der Tote war im Widerstand gegen ein Gombrowski-Projekt! Vielleicht ist es gefährlich, was wir tun. Viel gefährlicher, als wir uns vorstellen können.”

Dabei sah er nicht verängstigt, sondern begeistert aus. Seine Augen strahlten wie die eines kleinen Jungen, der seinen Freunden mitteilt, dass sich die feindliche Bande gerade am Waldrand zu sammeln beginnt.

Jule ließ ihn stehen und schloss die Schlafzimmertür hinter sich, um Sophie im großen Doppelbett zu stillen und anschließend, hoffentlich schlafend, in ihre Babywiege zu legen. Während sie die Kleine an der Brust hielt, versuchte sie, den Namen Gombrowski und das Wort “Mörder” zu einer Einheit zu verbinden, die Sinn ergab.

Zwei Jahre lang hatte Jule den Chef der Ökologica immer nur aus mittlerer Entfernung gesehen. Am Steuer seines Geländewagens. Auf dem Parkplatz vor dem Baumarkt. Am Skattisch im Hinterzimmer des Märkischen Landmann. Bis sie ihm letzte Woche im Haus des Bürgermeisters in die Arme gelaufen war. Sie war in einem Raum erwacht, den sie nicht kannte, war verschlafen und desorientiert auf den Flur getorkelt, und da hatte er vor ihr gestanden, groß und breit wie ein Berg, und seine dröhnende Stimme hatte sie so erschreckt, dass sie fast in Tränen ausgebrochen wäre.

Was sie hier verloren habe. Was für eine Unterschriftensammlung das sei.

Es war dann nicht Jule, sondern Sophie, die zu weinen begann. Im selben Augenblick war der Berg zu einem Häufchen zusammengeschmolzen.

Gombrowski hatte die Hände auf die Knie gestützt und seinen massigen Körper zusammengefaltet, um das Baby anzusehen.

“Mäuschen”, sagte er. “Was hat das Mäuschen denn? War ich zu laut? Das tut mir leid.”

Er zog einen Autoschlüssel aus der Tasche, an dem ein grauer Gummihund hing.



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